Editorial Nr. 63: Ein Marshallplan für Afrika?

Liebe Leser,

im Sommer besuchte ich zum ersten Mal in meinem Leben Ruanda, Uganda und Kenia. Durch die Reise konnte ich diese Länder unmittelbar vergleichen. Kurz zusammengefasst: ich war positiv überrascht von der Entwicklung in Ruanda. Infrastruktur, Sicherheit und Sauberkeit werden groß geschrieben. Die Gesetze werden befolgt und es gibt eine große Vision hinsichtlich der Beschleunigung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung.

Nach Ruanda sind wir weiter nach Uganda gereist. Uganda war eine reine Enttäuschung. In großen Teilen der Hauptstadt Kampala gab es kaum Straßenlaternen. Überall saßen Frauen, Männer und Kinder mit Taschenlampen und Kerzen und wollten Waren verkaufen, um über die Runden zu kommen.

Hier noch ein paar Fakten zu Uganda: Präsident Yoweri Museveni und seine Familie regiert seit 30 Jahren. Ein Artikel der ugandischen Zeitung Observer über die Gehälter der Parlamentarier im Vergleich zu anderen Ländern der Welt sieht folgendermaßen aus: Pro Monat verdienen Parlamentarier in den Ländern der Region soviel: Kenia (US$ 13.740), Uganda (US$ 8.715), Tansania (US$ 7.266), Ruanda (US$ 1.271). Die Zahl der jeweiligen Parlamentarier: Uganda 432 bei einer Bevölkerung von 34 Mio; BIP US$ 26 Mrd.; Kenia 349, Bevölkerung 46.44 Mio., BIP US$ 60 Mrd.; Tansania 356, Bevölkerung 49,25 Mio., BIP $48 Mrd.; Ruanda (80 MZ und 26 Senatoren, 12 Mio. Bevölkerung, BIP $8.10 Mrd. Offensichtlich verwendet Uganda die Steuergelder für den Erhalt seiner politischen Elite.

Am Beispiel Ugandas wird deutlich, wie die Entwicklung eines Landes durch die eigene Regierung in Geiselhaft genommen wird. Dieser Zustand findet sich in (viel zu) vielen Ländern Afrikas, sogar in sehr armen. Vor Ort in Uganda hat man gesehen, wie aktiv und kreativ die Bevölkerung ist. Die Menschen arbeiten hart, um der Armut zu entkommen, aber die politische Elite schafft nicht die richtigen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Wirtschafts- und Sozialentwicklung. „Black Lives Matter“ als Slogan muss im erster Linie für die Afrikaner gelten.

Lieber Herr Bundesminister Müller,

ich begrüße Ihre Idee eines Marshallplans mit Schwerpunkt Wirtschaftsinvestition vor Ort. Aber eines muss ich Ihnen vorweg sagen: Jede nachhaltige Entwicklung hängt überwiegend von den Afrikanern selbst ab. Leider bekämpft der Bevölkerungsteil, der vom jetzigen Status profitiert, jegliche Veränderung und nimmt billigend in Kauf, dass viele Jugendliche wegen fehlender Perspektiven die Flucht ins Ausland wagen. Grundsätzlich muss ein Mentalitätswechsel in den Gesellschaften Afrikas stattfinden. Diesen können Sie nicht von draußen erzwingen, Herr Minister, sondern die Mehrheit der Afrikaner muss realisieren, dass Entwicklung nur durch eine rechtstaatliche, gerechte, transparente und inklusive Gesellschaft entsteht. Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn Jemand Millionen von Steuergeldern stiehlt, dafür aber gefeiert wird? In Gabun, wo die Familie Bongo seit 50 Jahren regiert, hat sie sich für 6 Millionen Euro einen zweiten Golfplatz geleistet, während die Mehrheit der etwa 1,7 Millionen Einwohner ohne Grundversorgung auskommen muss. Dieses Beispiel zeigt, das die Entwicklung im Kopf jedes Einzelnen beginnen muss. „African Lives must matter to Africans first.“

Aus diesem Grund sehe ich einem Marshallplan für Afrika etwas skeptisch. Geld allein wird die grundlegenden Probleme nicht lösen. Aber einem Zitat aus Ihrem Deutschlandradio- Interview stimme ich, Herr Minister Müller, zu: „Unter Marshallplan verstehe ich, dass wir den afrikanischen Kontinent als Partnerkontinent von europäischer Seite begreifen, und dazu müssen grundlegende Veränderungen in der Zusammenarbeit erfolgen. Erstens: Bisher haben wir Industrieländer doch die Ressourcen dieses Kontinents in den letzten 50 Jahren im Wesentlichen nur ausgebeutet, für die Rohstoffe auch keine fairen Preise gezahlt, weder für Erdöl noch für Coltan, das wir für unsere Handys brauchen. Wir haben in Europa, in den Industriestaaten, unseren Reichtum auf den Ressourcen der Entwicklungsländer aufgebaut.“

Nach meiner Meinung braucht man keine neuen bürokratischen Strukturen aufzubauen, um reales Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze in Afrika zu schaffen.

  • Lokale mittelständische Unternehmer benötigen Investitionskapital. Ohne Kapital gibt es kein Wachstum und keine neuen Arbeitsplätze.
  • Die Volkswirtschaften vor Ort müssen so schnell wie möglich diversifiziert werden, durch gezielte Joint-Ventures zwischen afrikanischen Unternehmen, ausländischen mittelständischen Unternehmen und Kapitalgebern.
  • Die Rohstoffe müssen in Afrika selbst weiterverarbeitet und nicht irgendwohin verschifft werden – wo sollen sonst die Arbeitsplätze herkommen?
  • Die EU muss die Wirtschaftsabkommen mit Afrika so gestalten, dass eine Win-Win- Situation entsteht. Die bisherigen einseitigen Abkommen müssen ersetzt werden.
  • Entwicklungsgelder sollen als Kredite und Bürgschaften für kleine und mittelständische Unternehmen eingesetzt werden, die Arbeitsplätze vor Ort schaffen.

Der Marshallplan für das Nachkriegsdeutschland war auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Was für eine Laufzeit stellt man sich für den Marshallplan für Afrika vor? Wären faire Handelsbeziehungen zwischen den afrikanischen Nationen und denen der EU nicht sinnvoller als die seit Jahren betriebene Ausbeutung des Kontinents?

Während meiner Reise in Ostafrika habe ich hautnah erlebt, wie viel Potential und Ressourcen in diesen Ländern vorhanden sind. Nur leider werden sie nicht zum Vorteil der Allgemeinheit genutzt. Liebe Leser, es gibt auch in diesem Heft wieder viel Interessantes vom bunten Kontinent.

Genießen Sie die Lektüre!