Kamerun am Scheideweg: Wenn ein Präsident zum Staat wird

Ein Appell an die internationale Gemeinschaft und an alle, denen Demokratie mehr als ein Slogan ist

Liebe Leserinnen und Leser,
wir leben in einer Welt, in der Macht zunehmend über Menschlichkeit triumphiert. Wo das Recht des Stärkeren zur Norm geworden ist und der Wille der Bürger durch die Interessen einer kleinen Elite erstickt wird. Kamerun ist eines der erschütterndsten Beispiele dafür.
Seit über vier Jahrzehnten wird das zentralafrikanische Land von einem einzigen Mann regiert: Paul Biya. Der inzwischen 92-Jährige will im Oktober 2025 erneut kandidieren – nach bereits 42 Jahren an der Macht. Dabei ist er für viele Kamerunerinnen und Kameruner längst ein Phantom: Seit Jahren führt er das Land meist aus der Ferne, bevorzugt aus Hotels in der Schweiz.

Die Fassade einer Demokratie
Offiziell ist Kamerun eine Demokratie. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich ein autoritäres System, das jede Form politischer Mitbestimmung systematisch unterdrückt. Das zeigen unter anderem die Recherchen von Prince Forghab von der Africa Oxford Initiative: Biya kontrolliert sämtliche zentralen Staatsfunktionen – vom Militär über das Justizsystem bis hin zu staatlichen Unternehmen und Universitäten. Jedenfalls, wenn man davon ausgeht, das er überhaupt noch etwas persönlich kontrollieren kann… Es existiert keine unabhängige Wahlkommission, keine neutrale Justiz, keine funktionierende Gewaltenteilung.

Im Jahr 2008 ließ Biya die Verfassung ändern, um die Begrenzung der Amtszeiten aufzuheben. Seither kann er praktisch unbegrenzt regieren. Die von seiner Partei geschaffenen „Oppositionsparteien“ dienen vor allem dazu, echte Opposition zu unterwandern und zu schwächen. Gleichzeitig werden regierungskritische Demonstrationen brutal unterdrückt – nur die Regierungspartei CPDM darf sich öffentlich versammeln.
Ethnische Spaltung als Machtstrategie
Besonders besorgniserregend ist die gezielte Förderung ethnischer Spaltungen. In einem Land mit über 250 Volksgruppen besetzt die Regierung Schlüsselpositionen fast ausschließlich mit Personen aus der eigenen Ethnie, insbesondere aus der Bulu/Beti-Gruppe. Diese Vetternwirtschaft hat das Vertrauen in staatliche Institutionen zutiefst erschüttert.
Auch in der Diaspora und im diplomatischen Dienst wird oft in der Sprache dieser Ethnien kommuniziert – ein klares Zeichen für institutionellen Ausschluss und Ungleichbehandlung.

Ein System der Angst und Lähmung
Die meisten Bürger wissen, dass Biya längst nicht mehr selbst regiert, sondern dass eine kleine, korrupte Clique das Land in Geiselhaft hält. Doch jede Form des Widerstands wird mit Gewalt beantwortet. Wer protestiert, riskiert Repression, Gefängnis oder Schlimmeres. Selbst Minister berichten, dass sie den Präsidenten nie persönlich getroffen haben. Kabinettssitzungen finden seit Jahrzehnten nicht mehr statt. Und doch: Das System funktioniert weiter – für jene, die davon profitieren.

Gibt es eine Lösung?
Die entscheidende Frage lautet: Wie kann ein solches System beendet werden? Eine vereinte Opposition wäre ein möglicher Weg – doch davon ist Kamerun weit entfernt. Über 80 Präsidentschaftskandidaten wollen 2025 antreten, viele motiviert durch persönliche Macht- und Geldinteressen, nicht durch echte Reformwillen. Solange es keine gemeinsame Linie, keinen glaubwürdigen Kandidaten der Erneuerung gibt, bleibt echte Veränderung Illusion.

Wo bleibt Europas Verantwortung?
Während die Europäische Union bei Ländern wie Mali oder Niger rasch die Stimme erhebt, bleibt sie im Fall Kameruns bemerkenswert still. Entwicklungshilfe fließt weiter, Kredite werden vergeben – auch von Deutschland. Niemand kontrolliert das in irgendeiner Form oder prüft die Rechtmäßigkeit sowie die Verhältnismäßigkeit. Damit wird die politische Realität dieser Kleptokratenwirtschaft vor Ort kaum hinterfragt. So wird ein unterdrückerisches System mitfinanziert und gestützt – auf Kosten der jungen Generation Kameruns, die nach Perspektiven und Gerechtigkeit verlangt.
Wenn Demokratie in Afrika mehr sein soll als ein geopolitisches Werkzeug, dann ist jetzt der Moment, Farbe zu bekennen. Die afrikanische Jugend braucht internationale Unterstützung – nicht nur finanziell, sondern politisch und moralisch. Wer autoritäre Regime duldet, darf sich nicht als Hüter demokratischer Werte inszenieren.

Der Wandel beginnt mit Ehrlichkeit
Die Herrscher Kameruns (und zwar alle, die gesamte Clique) sind im Sinne des Wortes steinalt – und mit ihnen ein Denken, das auf Machterhalt statt Gemeinwohl setzt. Doch das Land hat Potenzial. Es braucht mutige Stimmen, solidarische Partner und den klaren Willen zur Erneuerung. Ohne diese Elemente droht eine Zukunft, in der Blutvergießen wieder zur einzigen Sprache des Protests wird.
Es ist noch nicht zu spät. Aber der Zeitpunkt zu handeln ist jetzt.
Veye Tatah