Welche Lehren ziehen wir aus der Situation in Mali?

Wenn afrikanische Staatschefs die Verfassung ändern, um an der Macht zu bleiben, gibt es keine westlichen Embargos. Aber beim Absetzen von Präsidenten, die vom Westen geliebt werden, gibt es Sanktionen. Wessen Interesse vertreten also UN, EU, AU und ECOWAS wirklich?

Liebe Leserin, liebe Leser,
seit Juni 2020 gehen tausende Menschen in Mali auf der Straße und protestieren gegen
die Regierung von Staatschef Ibrahim Boubacar Keita. Er regiert seit 2013. Die umstrittenen Wahlen 2018 endeten mit seiner Wiederwahl. Die Wirtschaftsgemeinschaft der west afrikanischen Staaten (ECOWAS) hat mehrmals erfolglos versucht, die Krise zu schlichten. Am 18. August ergriff dann eine Gruppe von Militärs unter Führung von Oberst Assimi Goïta die Macht.

Einige Fragen, die beantwortet werden müssen

Wo waren da die UN, EU und AU, als die Malier protestierten, weil sie einen echten
Wandel in ihrem Land wollten? Wo waren sie, als die Regierung ihre eigenen Bürger tötete,
nur weil sie friedlich protestierten? Wo sind die Embargos der internationalen Gemeinschaft
bei so offensichtlichem Fehlverhalten der Regierung? Ein Vergleich der Ereignisse in Mali mit der Reaktion der EU im Bezug auf Proteste in Belarus (Weißrußland) zeigen, dass die Malier leider im Stich gelassen wurden! Bei politischen Krisen in afrikanischen Ländern stehen die internationalen Institutionen meistens auf der Seite der Machthaber.

Malis Konflikte und die Unabhängigkeit des Landes

Die Konflikte in Mali begannen bereits vor der Unabhängigkeit des Landes von Frankreich
im Jahr 1960. Der Süden und Norden Malis pflegten eine tiefe Feindseligkeit gegeneinander.
Die französische Besatzung hat diese Ressentiments noch verstärkt, als sie durch eine ihnen dienende Klasse von Maliern förderte, die aus dem Süden stammte, die dann ihre Mitbürger im Norden in ihrem Auftrag beherrschte. Dies torpedierte die nationale Einheit des neuen Staates.
Das historisch verwurzelte Misstrauen hatte nach der Unabhängigkeit zu vier Aufständen der Tuareg und der Araber geführt: 1963, 1991, 2006 und 2012. Trotz Friedensabkommen blieben die Beziehungen zwischen Norden und Süden problematisch. Tatsächlich haben die Tuareg, die Araber, die Songhai oder die Fulani im Norden jeweils eine unterschiedliche politische Agenda und unterschiedliche Kulturen, Sprachen und Traditionen sowie unterschiedliche politische Entwicklungen.

Der Nachteil von Zentralregierungen

Eines der Kernprobleme in Mali ist die zentralistische Regierungsform. In Ländern mit vielen Ethnien ist jedoch eine dezentralisierte Regierungsform wichtig. Dann hätte der Norden Malis seine eigenen Bedürfnisse und die lokale wirtschaftliche Entwicklung selbst steuern können. Wegen der Vernachlässigung des Nordens durch die Zentralregierung gelang es Ländern wie Algerien, Libyen und ausländischen Wohltätigkeitsorganisationen (darunter arabischsprachige NGOs und islamische Predigerbewegungen), „einen Fuß in die Tür zu bekommen“ und das vorhandene Vakuum auszufüllen.

Sie ersetzten nicht nur den fehlenden Einfluss des Staates, sondern boten mehr Schutz, bessere Sozialleistungen, größere Unterstützung und ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl als die Zentralregierung in Bamako. Natürlich verbreiten sie dabei auch ihre religiösen Ideologien.

Wirtschaftliche Ungleichheit

Früher waren die nördlichen Regionen eine wichtige Komponente des Reichtums Malis. Der Süden hingegen konnte sich dank der Landwirtschaft und des Goldabbaus auf eine relativ gut funktionierende Wirtschaft stützen. Die nördlichen Regionen blieben weitgehend von Viehzucht, Landwirtschaft und Tourismus abhängig, die starke Fluktuationen erlebten.

Warum sind die Ereignisse in Mali wichtig für Europa und insbesondere Frankreich?
Der Westen und vor allem Frankreich möchten die Destabilisierung Westafrikas verhindern, vor allem in Niger, das für Frankreichs Atomindustrie die Hauptquelle für Uran ist. Hunderte Millionen Dollar standen für den Kampf gegen den Terrorismus bereit. Bis heute ist damit im Norden Malis kein Frieden und also auch kein Nutzen für die Bevölkerung erreicht worden.

Dialoge und Wirtschaftsprogramme

Militärische Lösungen allein schaffen also keine langfristige Stabilität. Es wäre sinnvoller, diese Gelder in Basisinfrastruktur, Grundversorgung, Optimierung der Landwirtschaft sowie in die Schaffung von Arbeitsplätzen für die Jugend zu investieren. Nur durch eine friedliche Ko-Existenz aller Bevölkerungsgruppen, die Auseinandersetzungen überflüssig macht und das Rechtssystem stärkt, kann dies geändert werden.

Liebe Leserin, lieber Leser, zurzeit gibt es auch politische Krisen in der Elfenbeinküste und in Guinea, wo die amtierenden Regierungschefs ihre Mandate ungeachtet der Verfassung verlängern möchten. Wenn Afrikaner protestieren, werden sie verhaftet, getötet und als Terroristen stigmatisiert – falls sie gegen das protestieren, was der Westen will. Zur Unterstützung der Präsidenten kommen dann westliche Waffen. Auch über finanzielle und logistische Unterstützung können sie sich nicht beklagen – jedenfalls, so lange sie „nützlich“ sind. Ist das „Good Governance“?

Wenn sich wie in Mali afrikanische Jugendliche erheben, um ihr Land von korrupten und unfähigen Politikern zu befreien, sind es oft genug UN, EU und AU als Erste, die rufen: „Die Verfassung muss respektiert werden!“ Das möchten die Afrikaner aber auch bei Wahlbetrug oder illegalen Verfassungsänderungen hören. „Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen!“ (Johann Wolfgang von Goethe). Genießen Sie die Lektüre!