Fachkräftemangel – ernst gemeint oder ein politisches Spielchen?

Arbeitet das Außenministerium mit dem Arbeitsministerium und dem Entwicklungsministerium zusammen oder arbeiten sie gegeneinander? Wie kann man erklären, dass deutsche Botschaften es in sechs Monate nicht schaffen, Termine mit Menschen zu vereinbaren, die von deutschen Arbeitgebern einen unterschriftsreifen Arbeitsvertrag haben, dringendst gesucht werden und die Arbeitgeber in Personalnot sind?

Liebe Leser,
ein frohes neues Jahr wünsche ich Ihnen von mir und dem ganzen Africa Positive-Team.
Seit ein paar Jahren predigen die Politiker und Wirtschaftsbosse, Deutschland habe ein Problem mit Fachkräften. Mittlerweile hört man aus jeder Branche, sei es Gastronomie, Handel, Logistik, Handwerk usw., an jeder Ecke fehlten Mitarbeiter. Es gibt viele Tätigkeiten, die nach kurzer Einarbeitung durchgeführt werden könnten. Wir wissen auch, dass in Deutschland viele Menschen leben, einige viele Jahre lang, die diese Arbeiten gerne machen möchten. Aber sie bekommen von den Ausländerbehörden keine Arbeitserlaubnis. Diese Menschen müssen zu Hause sitzen, Däumchen drehen und am Ende des Monates staatliche Hilfe erhalten. Wer profitiert von diesem System? Ich kann nicht erkennen, dass der deutsche Staat etwas Positives aus diesem Zustand ziehen kann. Erwachsene Menschen werden ohne Sinn und Verstand jahrelang zum Warten verdammt.
Durch unsere Beratungstätigkeiten im Verein haben wir mittlerweile alle möglichen Fälle von bürokratischem Versagen mitbekommen. Ein Beispiel: Ein junger Mann fängt an zu arbeiten, der Arbeitgeber bringt ihm alle unternehmensrelevanten Prozesse bei, aber nach einem Jahr verlängert die Ausländerbehörde die Arbeitserlaubnis nicht. Wem nutzt diese Entscheidung? Manchmal hat man das Gefühl, über solche Dinge entscheiden Menschen, die Spaß daran haben, anderen das Leben schwer zu machen, seien es den Arbeitsuchenden oder den Unternehmen, die dringend Mitarbeiter benötigen.

Glaubwürdigkeit der Politik
Wenn jemand Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland holen möchte, aber die Arbeitskräfte im Land ignoriert, kann man das nicht ernst nehmen. Auf der anderen Seite haben wir Unternehmen, die in Deutschland lebende Bewerber trotz passender Qualifikation ablehnen und dennoch laut kundtun, dass sie Fachkräfte brauchen. Wollen diese Unternehmen vielleicht nur Fachkräfte bestimmter Herkunft und Eigenschaften einstellen?

Erfahrungen mit deutschen Botschaften
Ich habe viele Gespräche mit Menschen geführt, die versucht haben, von einer deutschen Botschaft in afrikanischen Ländern ein Visum zu bekommen, sei es für einen Urlaub oder zum Arbeiten. Die meisten von ihnen haben leider sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn es um Touristenvisa geht, ist es nahezu unmöglich, ein Visum zu bekommen. Die Botschaft erteilt Ablehnungen mit dem Hinweis, dass der Antragsteller voraussichtlich nicht in sein Land zurückkehren würde. Warum die Botschaft das vermutet, bleibt rätselhaft. Es gibt für eine solche Entscheidung keinerlei weitere Begründung. In diesem Beitrag möchte ich mich aber auf das Arbeitsvisum konzentrieren.

Ein konkretes Beispiel: Eine mir bekannte Person hat in einem Schengen-Land erfolgreich ein Masterstudium absolviert, in einem internationalen Studiengang mit Beteiligung einer deutschen Universität. In diesem Studienfach suchen Unternehmen dringend Arbeitskräfte. Diese Person erhielt einen Arbeitsvertrag von einem deutschen Unternehmen. Sie versuchte ab April 2022, in dem Land, in dem sie studierte, die deutsche Botschaft zu kontaktieren, um die notwendige Arbeitserlaubnis zu beantragen – ohne Erfolg. Monat um Monat verging. Die Botschaft vergab nicht einmal einen Termin, um den Visumsantrag persönlich stellen zu können. Parallel dazu wurde versucht, die Ausländerbehörde in der deutschen Stadt ihres Arbeitgebers zu kontaktieren, um dort eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Obwohl die Person noch eine Schengen-Aufenthaltsgenehmigung hatte, teilte die Ausländerbehörde mit, sie könne keine Arbeitserlaubnis erteilen. Die Person solle zurück in ihr Heimatland reisen und von dort aus einen Antrag für ein Arbeitsvisum stellen. Da es keine andere Möglichkeit mehr gab, reiste die Person zurück in ihr afrikanisches Heimatland. Dort wandte sie sich an die deutsche Botschaft, um einen Termin für die Beantragung eines Arbeitsvisums zu vereinbaren.
Während ich diesen Text heute schreibe, sind mehr als sieben Monate vergangen. Die Person, mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche, mit einem europäischen Masterabschluss in einem Fach, das dringend Fachkräfte sucht, wartet immer noch auf einen Termin.

Die Arroganz, mit der einige Botschaften die Menschen behandeln, ist unerhört und reflektiert nicht den hierzulande vielfach propagierten Fachkräftemangel.
Am 11.10.2022 verschickten das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Bundesagentur für Arbeit und die Deutsche Bahn eine gemeinsame Presseerklärung mit dem Betreff: „Mit Migration Fachkräfte gewinnen: Pilotprojekt von Entwicklungsministerium mit Deutscher Bahn wird konkret“.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze: „Der Fachkräftemangel ist bereits so dramatisch, dass er Wirtschaftskraft und Wohlstand in Deutschland bedroht. Zugleich fällt es vielen Entwicklungsländern gerade in Afrika schwer, genügend Jobs für ihre junge, wachsende Bevölkerung zu schaffen. Wir können uns also gegenseitig helfen, so dass alle etwas davon haben: die Migrantinnen und Migranten einen guten Job, die Herkunftsländer Ausbildung und Wissenstransfer, und wir in Deutschland dringend benötigte Fachkräfte.“ Wirklich?

Warum ist das Auswärtige Amt bei diesem Vorhaben nicht involviert? Haben das Auswärtige Amt sowie die deutschen Botschaften in Afrika noch nichts vom Fachkräftemangel gehört? Oder kann es sein, dass die erwünschten Fachkräfte aus bestimmten Gegenden und Ländern eher nicht stammen sollten? Oder wie kann man das Verhalten der deutschen Botschaften in einigen Ländern Afrikas sonst erklären? Man könnte auf die Idee kommen, das Auswärtige Amt oder die Botschaften machen (bewusst oder unbewusst) ihre eigene Politik, ohne die Diskussion zum Fachkräftemangel zur Kenntnis zu nehmen.

Viele europäische Länder werden in Zukunft Probleme wegen des demografischen Wandels haben und als Konsequenz Migranten als Arbeitskräfte benötigen. Die bisherige Haltung Deutschlands bezüglich Visavergabe an afrikanische Jugendliche könnte zukünftig Nachteile mit sich bringen. Es könnte sein, dass ein regelrechter Nachfrageboom entsteht. Das könnte dazu führen, dass die afrikanischen Jugendlichen Angebote aus vielen Ländern erhalten und selbst entscheiden, in welches Land sie auswandern wollen oder ob sie lieber vorziehen, in ihren Heimatländern zu bleiben und dort ihre Wirtschaft aufbauen.

Es wird zurzeit an einer modernen Einwanderungspolitik gearbeitet. Wenn man die Diskussion einiger politischer Parteien hört, hat man jedoch den Eindruck, dass sie nicht wirklich verstanden haben, was der Fachkräftemangel wirtschaftlich verursachen kann. Deutschland konkurriert mit anderen Industrieländern um die zukünftigen Arbeitnehmer. Wer eine moderne Einwanderungspolitik ohne grundlegende Veränderung der Haltung deutscher Institutionen, die dieser Menschen ohne gegenseitige Wertschätzung und Respekt behandeln, „verkaufen“ will, darf sich nicht wundern, wenn Versuche zur Arbeitskräfteanwerbung wie beispielsweise die „Blue Card Initiative“ nicht die erhoffte Resonanz erhält. Man sollte nicht vergessen, dass die deutsche Sprache ein großes Hindernis ist, warum Fachkräfte Deutschland nicht als ihre erste Priorität betrachten. Ziel der deutschen Regierung sollte sein, den Bewerbern attraktivere Bedingungen zu bieten.

Liebe Leser, dieses Jahr werden der Africa Positive Verein und sein Magazin 25jähriges Jubiläum feiern. Wir danken Ihnen für Ihre Treue als Leser, Kommentatoren und Mitarbeiter. Viele Menschen, die unsere Anliegen teilweise von Anfang an begleitet haben, haben uns mit wertvollen Ratschlägen, Ideen und Zuschriften geholfen. Nur so war es uns bis heute möglich, Ihnen ein Magazin (auch in elektronischer Form) zu präsentieren, das von Ihnen für Sie gemacht ist. Allen voran gebührt unseren Freiwilligen größter Dank, die sich als Autor für das Magazin engagieren, die sich um die verschiedenen Programme und Kurse kümmern, die unser jährliches Afro Ruhr Festival so lebendig gestalten oder die anderen Veranstaltungen zum Erfolg verhelfen. Wir sind stolz darauf, auch das neue Jahr mit viel Elan und interessanten Themen für Sie starten zu können.
Genießen Sie die Lektüre!
Veye Tatah