Tödlicher Polizeieinsatz in Dortmund – Mouhamed Lamine Dramé erschossen.

Hat die Wahrnehmung von nichtweißen Menschen in unserer Gesellschaft dazu beigetragen?

Liebe Leser,

ich gehe davon aus, dass viele von Ihnen über den tödlichen Polizeieinsatz in Dortmund am 8. August 2022 informiert sind. Dabei hat ein 16-jähriger Junge aus dem Senegal sein Leben durch fünf Schüsse aus einer Maschinenpistole der Polizei verloren. Bis heute gibt es viele Fragen ohne Antworten, darunter die, warum 11 Polizisten ohne Waffengewalt nicht in der Lage waren, einen suizidgefährdeten jungen Mann außer Gefecht zu setzen. Warum wurde Mouhamed nicht am Arm getroffen, so dass er das Messer hätte fallen lassen? Oder am Bein, so dass er nicht mehr fortlaufen konnte? Laut Spiegel wurde er am Jochbein, Unterarm, Bauch und zweimal an der Schulter getroffen worden. Viele Menschen fragen sich unwillkürlich, ob dabei Rassismus eine Rolle gespielt hat. Wäre Mouhamed ein blonder suizidgefährdeter Junge gewesen, hätten die Polizisten auch dann so schnell tödliche Schüsse abgefeuert? Waren 11 Polizisten mit Maschinenpistole gegen einen psychisch Kranken überhaupt verhältnismäßig? Warum waren die Bodycams aller 11 Polizisten ausgeschaltet, wenn sie die Polizei in Gefahr-Situationen schützen sollen und überhaupt für Dokumentationzwecke von Einsätzen getragen werden? Das war doch eine „gefährliche Situation“, da die Polizisten behauptet haben, dass der Junge sie mit dem Messer bedroht hat. Dies sind nur einige der Fragen, die bisher ohne zufriedenstellende Antworten blieben.

Wie dieser Vorfall die Gesellschaft in „Wir“ und „Ihr“ spaltet

Direkt nach dem Vorfall gab es viele Kommentare in den Sozialen Medien für und gegen den Polizeieinsatz. Wer sich die Zeit genommen hat, die Kommentare zu lesen, wird feststellen, dass die Mehrheit der Personen, die das Vorgehen der Polizei lobten, Weiße waren, während die Mehrheit derjenigen, die es kritisierten, Nicht-Weiße und Migranten waren. Man sollte dazu sagen, dass viele Weiße, die sich ebenfalls über diesen Fall empörten, nicht so lautstark sind wie diejenigen, die den Fall nutzten, um ihre rassistischen Ideologien und Vorurteile zu verbreiten.
Wenn man über Menschlichkeit und Empathie füreinander spricht, dann soll die Herkunft eines Opfers keine Rolle spielen. Jeder normaler Mensch muss sich nur die Fragen stellen: Wenn es mein Kind, Bruder oder ein Familienangehöriger wäre, hätte ich die Polizisten dann ebenfalls gelobt?
Das Schlimmste fand ich, dass der Oberbürgermeister der Stadt Dortmund einen Shitstorm im Internet bekam, weil er am Totengebet für Mouhamed teilgenommen hat. Seine Teilnahme war nach Meinung der Hetzer Parteiergreifung gegen die Polizisten, obwohl er nur seine Verantwortung als Stadtoberhaupt ausübte.

Die Wahrnehmung in der Gesellschaft

Laut Statistischem Bundesamt lebten 2021 in Deutschland rund 22,3 Millionen Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund. Das entspricht 27,2 Prozent der Bevölkerung. Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der einige Politiker (übrigens nicht nur die rechter Parteien) und einige Medien Jahrzehnte lang die Erzählung des kriminellen Ausländers/Migranten salonfähig machten. Kriminalität hat keine Herkunft, keine Farbe und keinen sozialen Status. Es gibt kriminelle „weiße“ Europäer/Deutsche, Schwarze, Araber, Amerikaner, Franzosen, Asiaten usw.

Viele zugewanderte Menschen sind von Armut betroffen. Aber das darf nicht zur der Verallgemeinerung führen, dass arme Menschen öfter kriminell wären als Andere.

Aus Erzählungen und persönlichen Beobachtungen, scheinen viele Kleinkriminelle und Drogenverkäufer junge Migranten zu sein, oft abgelehnte Asylbewerber oder ehemalige minderjährige Flüchtlinge ohne Aufenthaltserlaubnis.

Sie dürfen weder arbeiten noch zur Schule gehen. Aber sie stehen unter ständigem Druck der Familien zuhause, Geld zu schicken. Die Politik könnte hier entschieden handeln und diesen jungen Männern eine echte Perspektive zum Arbeiten und Geldverdienen anbieten. Nur so bekommt man die Mehrheit von ihnen aus dem Feld der Kleinkriminalität heraus. Es ist auch bekannt, dass unter den Drogenbossen viele weiße Männer sind, die die großen Geschäfte machen.

Die Kleinkriminalität der jungen Migranten ist kein wirklicher Vergleich mit der „weißen Kriminalität“, wie den Managern von Wirecard mit „Scheinbuchungen“ von 1,9 Milliarden Euro. Bei den Zugewanderten geht es ums Überleben, bei den weißen Kriminellen geht es um Gier. Trotzdem werden die „nichtweißen“ Menschen in den deutschen Medien überwiegend als krimineller wie „weiße“ Menschen dargestellt.

Diese negative Darstellung hat sich in der Wahrnehmung der Bevölkerung verfestigt. Die Begegnungen vieler Migranten mit der Polizei beruhen meist auf Verdächtigungen. Viele Migranten berichten, dass sie von der Polizei aggressiv und unhöflich behandelt werden. Das ist nicht verwunderlich, weil die Polizisten wie jeder andere Mensch in der Gesellschaft dieselben Informationen aus den Medien konsumieren und im Arbeitsalltag natürlich auch sehr schlechte Erfahrungen machen.

Wie erklärt sich der Einsatz vom Racial Profiling bei „nicht-weißen“ Menschen sonst? Man sagt auf beiden Seiten „aus Erfahrung“, da viele Drogendealer „nicht-weiße“ Menschen seien. Steht deswegen jeder Mann, der „nicht weiß“ ist, unter Verdacht und kann ohne Grund von der Polizei kontrolliert werden? In einem anderen Bereich sind beispielsweise die Mehrheit der bisher erwischten Pädophilen „weiße“ deutsche Männer. Trotzdem kenne ich keine Verordnung, dass die Polizei weiße Männer, die ein Kind an der Hand halten, mit Verdacht auf Pädophilie kontrolliert. Nun, man wird vielleicht nie wissen, ob diese Männer Pädophile sind, die das Kind gerade entführen. Doch wenn man das Verhalten gegenüber Männern von Vermutungen und Verdächtigungen abhängig macht…

Also, es ist falsch, die Straftaten von einigen Wenigen auf die Mehrheit einer Gruppe zu generalisieren. Der bisherige Umgang der Polizei mit Bürgern mit Migrationshintergrund hat zu einem Vertrauensverlust der Migranten in die Institutionen geführt. Der Fall Mouhamed bestätigt dies nur.

In welcher Gesellschaft wollen wir leben?
Wie schaffen wir einen vertrauensvollen und respektvollen Umgang zwischen der Polizei und den „nicht weißen“ Bürgern? Die ständige Kontrolle der Polizei kombiniert mit Alltagsrassismus gibt letzteren das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Sogar vielen Kindern, die hier geboren sind, wird oft vermittelt, dass sie Fremde sind.
Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, allen hier lebenden Menschen über mehrere Generationen von Anfang an das Gefühl zu vermitteln, dass sie gleichwertige Bürger dieses Landes sind. Nur dadurch entsteht eine emotionale Bindung zu Deutschland als Heimatland.

Unsere Gesellschaft ist sehr bunt und divers. Wir müssen uns zusammensetzen und analysieren, welche Veränderungen vorgenommen werden müssen, damit sich jeder einzelne Bürger abseits von Phrasen und Schlagworten tatsächlich zu Hause fühlen kann. Das bedeutet, dass der Umgang miteinander in einigen unserer Institutionen auf den Prüfstand muss. Verordnungen, Maßnahmen und Umstände, die „nicht-weiße“ Bürgerinnen und Bürger im Allgemeinen diskriminieren, müssen angegangen werden.

Es wird immer Kriminelle aller Farben und kultureller Hintergründe geben. Es gab sie in der Vergangenheit und es wird sie auch in Zukunft geben. Aber wir sollten nicht den Fehler begehen, eine Mehrheit von Menschen für Taten verantwortlich zu machen, die von einer kleinen Minderheit begangen werden, denn dies führt nur zu weiterem Misstrauen und Hass. Deswegen sollte auch die Methode der Suche nach Straftätern von der Politik überdacht werden, egal welcher Hautfarbe und Herkunft.

Wie können wir also das Vertrauen zwischen der Polizei als Institution und den Migranten wiederherstellen, so dass auch diese Gruppe von Menschen die „Polizei als ihren Freund und Helfer“ akzeptieren kann und nicht als Feind?

Das ist kein einfacher Prozess, aber er erfordert Ehrlichkeit und transparentes Handeln. Im Moment steht die Polizei im Mittelpunkt, aber dieses Problem ist in vielen Institutionen unserer Gesellschaft verwurzelt. Wir brauchen tiefgreifende Veränderungen, um den „nicht-weißen“ Bürgern ein Gefühl der Zugehörigkeit zu geben. Wir sitzen alle im selben Boot! Was dem Einen gut tut, tut auch seinem Nachbarn gut. Empathie und Menschlichkeit müssen wieder in unserer Gesellschaft im Mittelpunkt stehen und für alle gelten.

Liebe Leser, so extrem traurig, schlimm, katastrophal, die Erschießung Mouhamed Lamine Dramés war und ist, wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, die unsere Gesellschaft sicherer und gerechter für alle ihre Mitglieder werden lässt. Dies bedeutet, dass es unabhängige Institutionen geben sollte, die sich mit allen Fällen befassen, die Probleme zwischen der Polizei und der Bevölkerung betreffen. Wir haben alle gesehen, was passiert, wenn die katholische Kirche Aufklärung zur den sexuellen Missbrauch Fälle ihrer Priester selbst zuständig ist. Ohne Transparenz gibt es kein Vertrauen!

Viel Spaß bei der Lektüre dieses Heftes
Veye Tatah