Liebe Leser,
viele Länder Afrikas befinden sich in einer politisch, wirtschaftlich und sozial steinigen Landschaft – das Agieren darin ist komplex, unübersichtlich und bringt vor allem viele Überraschungen mit sich. Nach den jüngsten Ereignissen in Algerien drängt sich mir aufgrund der fast identischen Ausgangslage ein Vergleich mit der andauernden Krise in Kamerun geradezu auf.
Kameruns Präsident Paul Biya, 85-jährig, mit Lieblingswohnort Genf in der Schweiz, hat sein Land seit 36 Jahren in einen Trümmerhaufen verwandelt, trotzdem klammert er sich hartnäckig an die Macht. Biya hat eine kleine Clique aus machthungrigen und korrupten Ja-Sagern um sich versammelt.
Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika ist 82 Jahre alt, sitzt wegen einer Erkrankung im Rollstuhl, hielt sich wegen medizinischer Behandlungen ebenfalls oft in der Schweiz auf und regierte das Land 20 Jahre lang nach Gutdünken. Nun ist er zurückgetreten. Bouteflikas Umfeld besteht offenbar ebenfalls aus einem Machtzirkel aus Militär, Geheimdienst, Staatspartei FLN und Geschäftsleuten genannt „le pouvoir“. Hiermit enden die Gemeinsamkeiten der beiden „starken“ Männer dann aber auch. Denn Bouteflika hat wenigstens die Wirtschaft in Algerien vorangetrieben und den Menschen vor dem Verfall des Ölpreises Perspektiven angeboten, da der Preisverfall Stagnationen im Investitionsklima mit sich brachte.
Paul Biya hingegen hat ein Günstlingssystem aufgebaut, das die meisten seiner Minister und Führungskräfte zu Milliardären machte, es wurde kaum Geld in die Infrastruktur oder in Sozialleistungen investiert. Zur Zeit sitzen circa 30 seiner ehemaligen Minister in Haft, das System, das die Plünderung der Staatskasse ermöglichte, ist jedoch nach wie vor vorhanden. Biya wurde letztes Jahr wieder zum Präsidenten „gewählt“, mit einem massiven Wahlbetrug. Jede Form von Protest wurde brutal niedergeschlagen, Oppositionsführer Maurice Kamto, der sich seit der Wahl als der gewählte Präsident Kameruns positioniert hatte, wurde mitsamt seinem politischen Kader verhaftet. Kamerun befindet sich seit drei Jahren im Bürgerkrieg, weil Biya jede Form von Protest nur mit Gewalt und Repression niederschlägt. Es findet kaum Dialog im Land statt. Die Regierung redet weder mit der Opposition noch mit Vertretern der Zivilgesellschaft. Kein Wunder, denn das Militär ist das Werkzeug, um das ganze System an der Macht zu halten. Der Krieg gegen die eigene Bevölkerung richtet sich auch gegen die Infrastruktur und die Menschen in den anglophonen Provinzen, die die frankreichtreue Ausrichtung des Staates ablehnen.
Die Rolle der Bevölkerung
Nachdem Bouteflika seine Kandidatur für eine fünfte Amtszeit im Februar angekündigt hat, gingen landesweit Algerier auf die Straßen und forderten seinen Rücktritt. Durch die dauernden Proteste beugte sich der Präsident und seine Clique nun dem Druck der Straße. Anfang April deutete Bouteflika seinen sofortigen Rücktritt an, auch durch zusätzlichen Druck von Seiten des Militärs. Die Algerier sehen den Rückzug des Staatschefs als ersten Schritt zur Veränderung und wünschen sich durchgreifende politische Reformen, um die alten Herrschaftsstrukturen endgültig abzuschaffen. In Kamerun ist es bis heute nicht gelungen, die Masse der Bevölkerung gegen Biyas System auf der Straße zu bringen. Das Land ist durch die Interessen der verschiedenen ethnischen Gruppen so zersplittert, dass es schwierig ist, alle auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Noch schlimmer ist es, dass das Militär sich bisher nicht auf die Seite der Bevölkerung gestellt hat. Die Frage bleibt, welche Maßnahmen in einem so zersplitterten Land wie Kamerun nötig wären, um auf friedlichem Wege sinnvolle politische Veränderungen herbeizuführen?
Die Rolle der westlichen Medien
Seit Beginn der Proteste berichteten die deutschen Medien und die Medien anderer europäischer Länder regelmäßig über die politische Situation in Algerien. Die Fernsehnachrichten machten die Entwicklungen in Algerien regelmäßig zum Thema. Somit wurde auch externer Druck auf die Regierung in Algerien ausgeübt. Im Vergleich dazu waren Berichte zum Ablauf der Wahlen 2018 in Kamerun trotz Wahlbetrug und der gewaltsamen Niederschlagung gewaltloser Proteste in den anglophonen Provinzen äußerst selten. Die dortige Krise wird immer schlimmer, aber das sehen die Medien offenbar nicht als Priorität . Man fragt sich daher, warum Algerien so eine mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde. Liegt es eventuell daran, dass die EU ihre Öl- und Gasimporte nicht gefährdet sehen will, oder dass die Rolle Algeriens in der Flüchtlings- und Terrorbekämpfung den entscheidenden Unterschied macht?
Die Rolle der westlichen Politik
Wo bleiben die Menschenrechte, wenn Paul Biya in Kamerun Menschen tagtäglich tötet, inhaftiert sowie Dörfer und Krankenhäuser niederbrennen lässt, nur um seine Macht zu verteidigen? Wo ist die ach so besorgte deutsche Regierung, die sich öffentlich so demonstrativ für die Oppositionellen in Venezuela eingesetzt hat? Aber wenn es um Kamerun geht (die Entfernung von Kameruns Hauptstadt Yaoundé nach Berlin beträgt 5.300 Km), hat sich bisher kein Mitglied der Bundesregierung durch eine öffentliche Stellungnahme für die Rechte der unterdrückten kamerunischen Bürger eingesetzt. Ach ja, gibt es denn überhaupt wichtige Importe aus Kamerun, deren Ausbleiben die Wirtschaft Deutschlands gefährden können? Mal überlegen… Kamerun liegt, wenn man das Gehabe der kamerunischen Regierung beobachtet, in Frankreichs Hinterhof, und Deutschland mischt sich in den Einflusssphäre seiner engen Verbündete (offiziell) nicht ein. Ja, so läuft die Weltpolitik. Bitte nicht vergessen, dass unter den Flüchtlingen viele aus Kamerun und Westafrika stammen. Wer langfristig die Augen vor Ungerechtigkeit schließt, der wird früher oder später mit den Konsequenzen leben müssen.
Liebe Leser, es gibt wieder viele wichtige Themen, die uns alle beschäftigen. In diesem Heft liefern wir Ihnen erneut einige interessante Beiträge, die Ihnen Einblicke in die aktuellen Herausforderungen ermöglichen.
Genießen Sie die Lektüre!
Veye Tatah